als ich vor ein paar Wochen in Berlin war, habe ich mich mit einer Freundin auch über das Thema Familienplanung unterhalten. Sie erzählte mir, dass sie und ihren Partner mitunter Zweifel plagen, ob es ethisch oder moralisch überhaupt noch vertretbar sei, Kinder in eine Welt zu setzen, die so ganz offensichtlich auf den Abgrund zusteuert. Und zu deren Niedergang, die durch die eigenen Kinder verursachten Emissionen auch noch beitragen werden!
Ich habe auch schon ein paar Climate Anxiety Täler durchschritten und kenne den Gedanken und die Debatte gut. Immerhin spielt die Klimakrise seit mehr als 3 Jahren eine ziemlich zentrale Rolle in meinem Leben. Also dachte ich mir, das sei doch mal ein guter Anlass meine eigene Meinung zu dem Thema auszuformulieren. Der Text war ursprünglich ein Brief, der sich an die oben erwähnte Freundin und ihren Partner richtet - daher die ungewöhnliche Ansprache ("Ihr").
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Der Gedanke ist nicht neu, aber er gewinnt an Bedeutung
Ich weiß nicht, ob ihr die Studie kennt, die vor ein paar Jahren das Thema in den gesellschaftlichen Mainstream gerückt hat? Die Kernthese dieser Studie ist, dass das Beste, was wir als Bürgerinnen und Bürger heute gegen die Klimakrise tun können, ein Verzicht auf Kinder sei. Über 50 Tonnen CO2 würden wir uns mit dieser Lebensentscheidung dann sparen. Diese Erkenntnis wurde dann in vielen Artikeln grafisch dargestellt. Die Geburt eines Kindes neben anderen Klimasünden wie Flugreisen oder Fleischkonsum. Ein Vergleich, der auf den zweiten Blick schon sehr viel über unsere Gesellschaft verrät: Ein Auto “haben”, ein Haus “haben”, in Kind “haben” - alles mit einem (CO2) Preis säuberlich berechnet und etikettiert - wähle sorgfältig aus wofür du dein Budget ausgeben möchtest! Der Markt wird es dann schon richten.

Die Studie ging viral und wurde von vielen Medien aufgegriffen. Leuchtet ja auch ein - ohne Kinder wäre das Klimaproblem in absehbarer Zeit ja tatsächlich gelöst. Ohne den Menschen bliebe unserem Planeten eine Menge erspart (oder vielleicht eher unseren Mitbewohnern, den Tieren - der Erde selbst würde ich kein klassisches Bewusstsein zuschreiben). Und Überbevölkerung erscheint ja zumindest auf den ersten Blick tatsächlich als ein großes Problem.
Aber nicht nur die Studie hat ein paar Haken, die selbst die Autoren mittlerweile eingeräumt haben, sondern auch die Debatte selbst ist bei näherem Hinsehen nicht ganz so eindeutig - obwohl sie erstmal logisch und richtig erscheint.
Überbevölkerung, oder Überkonsum?
Ich will nicht zu viel auf das Thema Ökofaschismus eingehen, weil es nur indirekt etwas mit eurer Sorge zu tun hat. Aber es sollte uns zumindest stutzig machen, wieviel Wind in der Debatte auch aus Richtungen kommt, denen wir sonst nur ungern Gehör schenken. Also daher pro-forma nochmal ein kurzer Ausflug in die wissenschaftlichen Fakten zum populären “wir-sind-einfach-zu-viele” Argument.
Wenn wir dem Narrativ folgen, dass die Klimakrise nicht lösbar sei, weil es zu viele Menschen auf der Erde gibt und die Ressourcen nicht ausreichten, dann müssen wir zumindest belegen, dass das stimmt und mehr als nur ein Bauchgefühl ist, was sich aus emotional aufgeladenen TV Bildern mit Menschenmassen aus Krisenregionen nährt.
Wir wissen, dass die Weltbevölkerung etwa im Jahr 2070 oder 2080 mit 10,6 Milliarden ihren Peak erreichen wird. Darin sind sich die meisten ForscherInnen einig.

Wir wissen auch wo diese zusätzlichen 2.6 Milliarden Menschen geboren werden, nämlich in Ländern mit sehr geringem Einkommen. Wir können also recht einfach berechnen, was es in Bezug auf unsere weltweiten Emissionen bedeuten wird, wenn 2.6 Milliarden Menschen mehr in eben diesen Ländern leben werden:
Wir emittieren heute 37 Billionen Tonnen CO2 pro Jahr. Der kleine Teil der Welt der noch wächst, also verantwortlich für unser “Gefühl der Überbevölkerung” ist, hat sehr geringe pro Kopf Emissionen. Nehmen wir einfach mal an, wir würden den Peak von 10.6 Milliarden Menschen nicht erst in 50 Jahren erreichen, sondern bereits morgen. Mit den 2,6 Milliarden Menschen mehr auf der Erde würden wir auf etwa 38 (statt 37) Billionen Tonnen CO2 pro Jahr kommen. Und ab übermorgen würde die Welt anfangen zu schrumpfen… Moment, 38 statt 37? Nur 1bn Tonne mehr? Das ist ja gar nicht mal so viel. Hmm, vielleicht liegt es also doch nicht an den ganzen Kindern im globalen Süden?!
Die Debatte um Überbevölkerung stellt sich bei genauerem Hinsehen als eines der vielen Strohfeuer im Klimadiskurs heraus, die allesamt nur ein Ziel haben: Ablenkung vom eigentlichen Problem - unserem auf ständig wachsenden Konsum abzielenden Wirtschaftssystem und dem damit verbundenen Lebensstil in Teilen der Welt.

Dazu kommt, dass wir die Probleme des Klimawandels heute lösen müssen. Wir können nicht auf einen demografischen Wandel hoffen, der sich erst in 50 Jahren beginnt auszuwirken, noch ganz andere Probleme mit sich bringt und zu ethisch äußerst gruseligen politischen Denkmustern führt.
Gut, das hilft jetzt alles herzlich wenig bei der Frage, um die es eigentlich gehen soll. Eure Kinder werden schließlich sehr wohl signifikant Emissionen verursachen. Zumindest in den ersten Jahren ihres Lebens, in denen unsere Energie weiterhin mehrheitlich aus fossilen Ressourcen kommen wird.
(Hier zwei gute Artikel zu dem Thema von Samira El Ouassil und Hannah Richtie.)
Cui bono? Footprint vs. Handprint
Ich bin generell kein großer Fan von der Idee des individuellen CO2 Fußabdrucks. Ja, jede/r sollte versuchen, seinen Teil beizutragen, aber es schadet nur der Klimabewegung als Ganzes, wenn wir gegenseitig mit dem Finger auf uns zeigen und uns ankreiden, wo wir wieder etwas kaputt gemacht haben. Das führt dazu, dass wir ängstlich werden, Risiken vermeiden und uns generell passiv verhalten, obwohl wir genau das Gegenteil brauchen: Aktivität und Aktivismus! Am Ende profitieren die Gegner der Klimabewegung von diesem ganzen “Verbots” Diskurs. Jedes Mal wenn wir da mitspielen, bewegt sich ein weiterer ego-verletzter Wähler nach rechts, weil ihm dort keiner ankreidet mit dem SUV zur Wahlurne zu fahren. So sind Menschen nunmal. Nur wer heilig lebt, darf grün wählen und sich für das Klima einsetzen, alle anderen sind Heuchler und haben still zu sein. Yeay, so packen wir den Systemwandel!
Ich bin mir sicher ihr kennt die Hintergründe der Idee des “individuellen CO2 Fußabdrucks” selbst schon. Falls nicht, könnt ihr euch mal dieses Video von Climate Town anschauen. Lustiger Typ auch.
Es gibt aber auch noch einen alternativen Ansatz, der als Antwort zu der Footprint Diskussion entstanden ist: Die Idee vom “Handprint”. Der Gedanke dahinter ist einfach: was ist denn eigentlich der positive Impact, den ich auf die Klimakrise haben kann? Wie kann ich dazu beitragen unsere Welt zu verbessern, statt nur zu versuchen meinen Schaden zu minimieren. Schon Sokrates wusste:
Fokussiere deine Energie nicht auf das Bekämpfen des Alten, sondern auf das Erschaffen des Neuen.
Wenn man das auf die Kinderfrage bezieht, könnte man also auch fragen: Glaubt ihr, dass eure Kinder Teil der Lösung oder Teil des Problems sein werden?
Denn machen wir uns nichts vor: Es bleibt noch jede Menge zu tun in den nächsten Dekaden. Wenn jetzt nur noch Climate Denier und radikal Gläubige Kinder in die Welt setzen würden, weil die einen nicht an den “Hoax” glauben und die anderen denken Gott wird’s schon richten, na dann gute Nacht. Unsere Generation allein wird es nicht schaffen, schon gar nicht wenn wir uns zurückziehen und aufgeben. Menschliches Talent ist alles entscheidend für gesellschaftliche Umbrüche!
Das Energieproblem werden wir lösen
Ich bin kein Optimist was die Klimakrise betrifft. Die Situation ist heute schon dramatisch und ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten 20-50 Jahren noch furchtbare Dinge erleben und sehen werden, die heute unvorstellbar scheinen. Aber zu diesem Klimarealismus gehört auch, dass ich anerkenne, dass sich die Dinge ändern, und zwar schneller als wir uns das noch vor ein paar Jahren hätten erhoffen können.
Die meisten Menschen in unserer Generation sind gerade an diesem Punkt, an dem wir beginnen zu “verstehen”. Auf einmal wird uns klar, dass das Versprechen von ewigem Fortschritt, ewigem Wachstum, mit dem die meisten von uns aufgewachsen sind, nicht tragfähig ist. Wir sind wütend, wir sind traurig, wir sind deprimiert. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft an diesem Punkt angekommen sind. Es ist wichtig, weil wir als Menschen in der Lage sind, uns anzupassen, zu lernen, Dinge zu verändern.
Ihr glaubt nicht, dass eine nachhaltige Welt möglich ist? Dann lohnt sich ein Blick auf die Menschheitsgeschichte. So viele Dinge scheinen in der Gegenwart unmöglich, und im Rückblick selbstverständlich. Hier ein kleiner Ausschnitt aus einem guten Essay zum Thema Hoffnung:
…other events had started to feed my sense of hope, including the unforeseen collapse first of the Soviet satellite states of eastern Europe in 1989, through non-violent direct action after long years of organising, and then the disintegration of the Soviet Union itself in 1991, ending the Cold War. No one really saw it coming, which taught me that history is full of ruptures and surprises. Beyond that I saw huge shifts in the status of women, people of colour, people with disabilities and queer people, thanks to movements and to innumerable everyday acts of courage and revolt by individual members of those groups…
…If you do not take the long view, you cannot see how campaigns build, how beliefs change, how what was once thought impossible or outlandish comes to be the status quo, and how the last half-century has been an extraordinary period of change for society, beliefs and values. Today may seem the same as yesterday, but this decade is profoundly different from the last.
Es lohnt sich, denen zuzuhören, die sich bereits seit 10, 20, 30 Jahren mit dem Thema beschäftigen. Viele dieser Menschen haben ihr Leben lang dafür gekämpft überhaupt ernst genommen zu werden. Dass heute ein Großteil der Menschheit diese Krise anerkennt, alle relevanten Staaten sich zu Klimazielen verpflichtet haben und ein Weg aus unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nicht nur möglich erscheint sondern bereits unaufhaltsam eingeschlagen ist, sind allesamt Nachrichten, die für diese Menschen wie ein wahr gewordener Traum sind.
Fakten needed? Here you go: Selbst die IEA (international energy agency) sagt heute, dass wir unser Energiesystem bis 2050 umbauen können. Und die IEA ist wahrlich kein grüner Thinktank, sondern traditionell eher konservativ und fossilnah unterwegs. Ende letzten Jahres musste die IEA ihre Prognose für den erwarteten Zubau der Erneuerbaren Energien erneut anpassen: Stand heute ist davon auszugehen, dass der Wandel 76% schneller vorangehen wird als noch vor 2 Jahren erhofft (!).

Was ich damit nur sagen will: Extrem Vieles läuft falsch, wir sollten uns auf keinen Fall mit dem Fortschritt den wir sehen zufrieden geben, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Wandel längst in vollem Gange ist und kommt. Daran zweifeln nicht einmal die Ölmultis dieser Welt.
Wenn wir das nun wieder auf die Kinderfrage beziehen, stellt sich die Frage ob wir wirklich (wie in der Studie) davon ausgehen können, dass unsere Kinder (und deren Kindeskinder) noch einen vergleichbaren “CO2 Fußabdruck” wie wir heute haben werden. Selbst die Autoren der anfangs gezeigten Studie sind diesbezüglich mittlerweile zurückgerudert.
Wir entfernen uns immer weiter von der Natur, statt zu ihr zurückzukehren
Die Faktenlage ist also nicht so eindeutig wie wir sie manchmal deuten. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so entscheidend, denn am Ende des Tages ist die Debatte eigentlich eher philosophischer Natur.
Tretet mal einen Moment zurück und überlegt, was uns in diese Situation gebracht hat. Die jüngere Geschichte der Menschheit - insbesondere in der westlichen Welt - ist geprägt von dem Gedanken, dass wir uns die Natur zu eigen machen müssen. Dass wir Menschen im Grunde kein Teil der Natur sind, sondern über sie herrschen. Das Individuum gegen die Welt. The American dream (Albtraum?). Dieses Denken durchzieht unser ganzes Leben, versteckt sich aber geschickt und wird selten hinterfragt, wir kennen ja nichts anderes. (Eine gute Zusammenfassung der Werte und Ideen, die uns hierher gebracht haben, findet ihr in diesem Artikel zu White supremacy culture.)
In diesem Prozess haben wir uns immer weiter von der Natur entfernt und dabei von uns selbst “entfremdet”. Wir konsumieren Speisen und Getränke, die in Fabriken hergestellt und durch die halbe Welt geschifft werden, kleben vor unseren Smartphones, fahren mit schwimmenden Hotels durch die Meere, auf deren Decks wir nichtmal merken, dass wir uns inmitten der schönsten Natur befinden. Das alles scheint für uns heute normal, aber “natürlich” ist nichts davon.
Es lohnt sich, mal kurz zu überlegen, was heute noch übrig bleibt vom ursprünglichen “Menschsein”?
Im Grunde genommen bleiben noch 2 Dinge: Der Tod und die Geburt. Nun ja, an der Abschaffung des Todes wird bereits fleißig gearbeitet, und die Geburt? naja…
Da stehen wir also heute, im Jahr 2023: Wir diskutieren darüber ob wir nicht vielleicht lieber aufhören sollten mit dem Zeugen von neuen Menschen. So sehr haben wir uns schon von der Natur verabschiedet, dass unser Verstand uns rät keine Kinder in die Welt zu setzen, obwohl unsere Intuition und unser Körper etwas anderes sagen.
Man könnte auch sagen, wir haben in den letzten 200 Jahren individueller Sinnsuche leider nichts Zufriedenstellendes gefunden und sind nun bereit ganz aufzugeben. Kinder in die Welt setzen? Ist doch eh sinnlos.
Wenn man sich das so nochmal vor Augen führt, fühlt sich die Diskussion plötzlich absurd, fast grotesk an. Denn wenn ich eine Sache vom jahrelangen Grübeln über das Leben mitgenommen habe, dann die, dass der Sinn des Lebens das Leben selbst ist. Jean Liedloff hat das schöner formuliert:
Das ziel des Lebens ist leben. Das ziel des Wohlbefindens ist, all das zu ermutigen was Wohlgefühl hervorruft. Ziel der Zeugung ist es, Erzeuger zu schaffen. Der Kreiseffekt ist durchaus nicht von enttäuschender Sinnlosigkeit, sondern vielmehr der beste und einzige aller möglichen Effekte. Dass es unser Wesen ist, gänzlich es selbst zu sein, ist, was es "gut" macht, denn gut ist ein relativer begriff. Gemessen am menschlichen potenzial ist es die beste aller möglichen alternativen.
Jean Liedloff
Es gibt viele Gründe keine Kinder zu wollen, und mir liegt es fern diese Gründe zu diskreditieren. Am Ende ist es eine individuelle Entscheidung, die jede/r für sich selbst fällen muss. Aber wenn ihr beide diesen Wunsch habt, dann sollte die Situation, in der wir uns befinden, meiner Meinung nach eher ein Grund dafür und nicht dagegen sein, diesem Wunsch nachzukommen.